In der Zeit vom 26.06.2010 bis 17.07.2010 legte ich ca. 1.600 km auf der Insel zurück.
Warum nach Island?
Eine viele hundert Kilometer vom europäischen Festland entfernte Insel mit einer nahezu unberührten und faszinierenden wilden Landschaft, kein anderes europäisches Land bietet so ein Kontrastprogramm. Die abwechslungsreiche Landschaft der Fjorde mit ihren grandiosen Steilküsten beherrscht den Nordwesten und Osten des Landes. Das Bild des kaum bewohnten Landesinneren wird von Wüsten und Vulkanen geprägt. Immer neue Überraschungen warten in der so urweltlichen Landschaft auf den Besucher. So befinden sich heiße Quellen neben riesigen Inlandgletschern und Moos überzogene Lavafelder neben farbenprächtigen Rhyolith-Bergen. Auf spektakuläre Wasserfälle folgen in der unmittelbaren Nachbarschaft dampfende Geysire. In dieser aufregenden und zugleich beruhigenden Welt gelingt es, Abstand vom stressigen Alltag zu finden. Das war zwar keine Weltreise, doch eine Reise in eine andere Welt, und mit ihr wurde für mich ein lang gehegter Traum wahr!
Island Karte: © Pauschert
In Keflavik begann die Reise um die Insel und führte mich auf einigen Teilstrecken auch durch das Landesinnere, das urweltliche Hochland.
26.06.2010 Anreise von Hamburg / Keflavik-Reykjavik, 59 km
Ein netter Kollege brachte mich und mein reichliches Gepäck zum Flughafen nach Hamburg. Nachdem ich alles auf den Rolli geladen hatte, ging ich zum Check In, dort am Schalter wurde ich nach dem Gewicht des Fahrradkartons befragt. Meine Antwort lautete wahrheitsgemäß, ca. 30 Kilogramm. Es sei nicht gestattet, mehr als das Rad in diesem Karton zu befördern, erwiderte das Personal. Um das angegebene Gewicht für Sportgepäck auszuschöpfen, hatte ich noch eine Packtasche und die Lenkertasche im Karton untergebracht. „In Ihrer Transportbebeschreibung ist ein Wert von 32 kg für Sportgepäck angegeben“, antworte ich. Daraufhin sollte ich meinen Fahrradkarton öffnen, aber das konnte ich verhindern, sollte dafür aber für 7 kg Übergepäck zahlen. Wucher, dachte ich, hatte jedoch keine Wahl und bezahlte die Gebühr.
Vor dem Abflug bemerke ich zwischen den Reisenden noch eine echte Isländerin, wie aus dem Bilderbuch. Sie trug ein kariertes Kopftuch und darunter streckten sich zwei dicke, blonde Zöpfe heraus, diese kräftige Frau bediente alle Klischees. Aber ist sie wirklich von der Insel? Jetzt öffnete sich endlich die Tür und wir konnten einsteigen, auf den Sitzen neben mir nahm ein Ehepaar Platz. Wir kamen schnell ins Gespräch, sie hatten eine Busrundreise gebucht. Die drei Flugstunden vergingen schnell und dank der zwei Stunden Zeitverschiebung landeten wir um 12:40 Uhr in Keflavik, bei passendem Islandwetter: Nieselregen.
Die Flugpassagiere hatten schon alle ihr Gepäck in Empfang genommen, nur mein Fahrradkarton fehlte noch. So wartete ich geduldig, bis sich eine Tür öffnete und mir ein Wagen mit meinem Karton und einer Kinderkarre darauf zugeschoben wurde. Der Karton hatte stark unter dem Transport gelitten, das Fahrrad schien jedoch unbeschädigt zu sein. Mit meinem nun vollzähligen Gepäck verließ ich das Gebäude. Vor der Tür suchte ich den Shuttle-Bus zum Campingplatz vergebens. Bei dem Versuch anzurufen sprang nur der Anrufbeantworter des Campingplatzes an. Was nun? Zufällig parkte vor dem Airport ein VW-Bus und nach kurzer Erklärung fuhr mich der Fahrer zum 2 Kilometer entfernten Campingplatz „Alex Camping“. Glücklich, dort angekommen zu sein, buchte ich die letzte Übernachtung (16.07. zum 17.07.2010) meiner Tour. Denn wer dort eine Übernachtung buchte, konnte seinen Fahrradkarton für den Zeitraum der Tour in einem extra Raum deponieren. Nachdem ich die Formalitäten geregelt hatte, begann ich das Fahrrad zu montieren und fuhr meinen ersten Track nach Reykjavik. Um 21:30 Uhr erreichte ich den Campingplatz und telefonierte mit meiner Familie, um ihr meine gesunde Ankunft mitzuteilen. Beim Zeltaufbau stellte sich mein Nachbar aus Deutschland vor, er war mit einem Begleiter zum Wandern in Island. So wie er sagte, fuhr er schon seit vielen Jahren her, seiner professionellen Ausrüstung sah man es an.
Nach dem langen Tag wollte ich nur noch in den Schlafsack und beeilte mich mit dem Duschen und dem Abendbrot. Es wurde trotz allem 11:30 Uhr und draußen war es noch taghell. Die Sonne geht im Juni um 24 Uhr unter und um 3:00 Uhr wieder auf. Die Nacht war kurz, zu kurz, denn meine Isomatte hatte über Nacht Luft verloren. Die Matte musste ich 2 x in dieser Nacht mit Luft aufblasen. Das ärgerte mich, denn das war mein Fehler, die Matte hatte ich vor der Abreise nicht geprüft.
27.06.2010 Reykjavik-Pingvellir, 76 km
Am Morgen versuchte ich vergeblich, die Leckstelle meiner Isomatte zu finden, dafür tauchte ich sie in einem Wasserbecken im Waschraum unter Wasser. Fehlanzeige, es stiegen keine Blasen auf. Während ich die Matte in der Sonne trocknete, riet mir mein Zeltnachbar, gleich eine neue zu kaufen. Er beschrieb mir freundlicherweise auch gleich den Weg zu einem Trekkingladen. So schnell kaufe ich keine neue Matte, beschloss ich, und das Leck würde ich schon noch finden. Dagegen sprach nur die Tatsache, dass es keinen weiteren Ort gab, durch den ich kam, der Outdoorausrüstung im Sortiment führte. Diese Entscheidung war falsch und das sollte ich später noch zu spüren bekommen.
Gegen 8:30 Uhr fuhr ich zurück in das Zentrum von Reykjavik, um an einem Bankautomaten noch Bargeld abzuheben und einige Fotos von der Hauptstadt zu schießen. Die Banken hatten alle geschlossen, es war ja Sonntag, und so dauerte es geraume Zeit, bis ich einen Automaten fand, der frei zugängig war. Gegen 10:45 Uhr verließ ich Reykjavik, ohne GPS undenkbar, da wäre wohl noch eine Stunde hinzu gekommen. Zuerst befuhr ich die Ringstraße Nr.1, um dann auf die S 435 abzubiegen. Die Straße führte durch ein Gebiet mit dem schönen Namen „Moosfeldsheidi“. Eine lange, bis zum Horizont reichende Pipeline, die für Reykjaviks Heiß- wasser-Versorgung errichtet worden war, säumte die Straße. Während der Fahrt und einem Blick in die Landschaft sah ich zufällig auf mein Vorderrad, doch was war das? Mein Lowrider wackelte hoch und runter. Bei meiner eiligen Radmontage in Keflavik hatte ich wohl eine Schraube nicht richtig angezogen. Sofort hielt ich an und packte meine Ersatzteile und das Werkzeug aus, um die kleine Reparatur auszuführen, und nach wenigen Minuten konnte ich die Fahrt fortsetzen. In der Ebene blies mir ein tüchtiger Wind ins Gesicht und in der Ferne sah ich eine Bergformation, die ich zu überwinden hatte.
Für einen Flachländer wie mich wurde die erste Bergetappe schon zur Herausforderung. Nach der dritten Steigung mit dem Hinweis 16 % hörte ich auf zu zählen. An zwei Anstiegen musste ich erstmals auf meiner Tour aus dem Sattel, um das Rad über die Anhöhe zu schieben. Auf der weiteren Strecke setzte ich all meine Kräfte ein, um noch rechtzeitig nach Pingvellir zu gelangen, denn mein geplantes Tagesziel lag noch 20 Kilometer weiter östlich, doch das konnte ich an diesem Tag wohl nicht mehr erreichen. Oder? Weiter in Richtung Norden durchfuhr ich den Nationalpark Pingvellir, diese Landschaft entstand hier im Laufe der letzten 9.000 Jahre. Die 10 Kilometer breite und 40 Kilometer lange Senke befindet sich auf der sogenannten „isländischen Dehnungszone“. Hier driften die nordamerikanische und eurasische Platte langsam auseinander. Im Westen befindet sich die Schlucht Almannagja (Allmännerschlucht), bereits ab dem Jahre 930 fanden hier Treffen der isländischen Goden statt, um verbindliche Regeln für das Zusammenleben zu schaffen und hier wurde mit dem Althing eine Art Inselparlament gegründet. Langsam durchfuhr und teilweise schob ich mein Rad weiter in Richtung Norden durch die geschichtsträchtige Schlucht. In Anbetracht der späten Stunde beschloss ich in Pingvellir zu übernachten und fuhr zum Campingplatz. Die Wiese war leer und ich konnte mir einen schönen Platz aussuchen.
28.06.2010 Pingvellir-Árbúdir, 115 km
So eine defekte Isomatte sorgt in der Nacht auch für ungeahnte Eindrücke. Aber der Reihe nach. Als ich in der Nacht wach wurde (Luftleere in der Matte) und zur Toilette ging, gab es eine tolle Himmelsstimmung zu bestaunen. Das Morgenrot und das Abendrot verzauberten gleichzeitig den Himmel, die Nähe zum Polarkreis machte es möglich.
Als einer der Ersten verließ ich gegen 8:30 Uhr den Platz und fuhr auf der S 36 in Richtung Geysir. Eine wunderbare Landschaft tat sich auf, viele kleine Bäume wuchsen im Nationalpark. Der Blick auf den Pingvallavatn rundete das Bild noch ab. Nach wenigen Kilometern ging es auf der unbefestigten Piste Nr. 365 nach Laugarvatn. Hinter mir näherte sich plötzlich ein Radfahrer, er kam schnell näher und wir fuhren eine Weile gemeinsam. Es war Paolo aus Frankreich, mit italienischer Herkunft, wie ich in dem netten Gespräch erfuhr. Sein Ziel war der Ort Geysir, der auch auf meiner Route lag. Sein Tempo war jedoch höher als meines und so fuhr er zügig weiter nach Geysir, dort verabredeten wir uns locker. Paolo wollte mit seiner Freundin die Insel umrunden, und da sie wohl auch langsamer fuhr, wollte er in Geysir auf sie warten. In rasanter Fahrt fuhr er seinem Ziel entgegen und verschwand schnell hinter der nächsten Kurve. Auf dieser Piste schmeckte ich erstmals den Staub vorbeifahrender Jeeps und Hochlandbusse, die mich beim Überholen in ihrer Staubwolke zurückließen.
Nach der nächsten Steigung sah ich auf Laugarvatn, dem letzten Ort vor meiner Hochlandquerung, in dem ich die Lebensmittelvorräte noch auffüllen konnte. Es war für die nächsten 200 Kilometer die letzte Möglichkeit, sich zu versorgen. Das Sortiment war üppig und so verließ ich den Laden mit vollen Taschen. Die weitere Strecke meinte es gut mit mir, eine asphaltierte Straße, nur leichte Steigungen, und sogar noch etwas Rückenwind begleiteten mich. Auf dem weiteren Track kam ich gut voran und erreichte schließlich Geysir, der Ort war schon von Weitem als touristische Attraktion auszumachen. Viele Reisebusse und Reisegruppen hatten hier halt gemacht, um das Geothermalgebiet zu erkunden. Geysire, Solfatare und Fumarolen zeugen von der enormen Erdwärme. An Solfataren treten Schwefelwasserstoff und 100 bis 200 °C heißer Wasserdampf aus. Anders bei Fumarolen, dort treten vulkanische Gase und Dämpfe mit einer Temperatur von 200 bis 800 °C aus. Befinden sich Fumarole unter einer mit Wasser oder Schlamm bedeckten Oberfläche, so werden sie als Schlammtöpfe bezeichnet. Auf Island befinden sich 25 solcher Hochtermalgebiete, das größte befindet sich bei Landmannalaugar. So oder so ähnlich stand es jedenfalls in meinem Reiseführer.
Das stark besuchte Geysir- Gebiet zählt mit dem Wasserfall Gullfoss und der Schlucht Pingvellir zum sogenannten „Golden Circle“ und gehört damit zu den Highlights einer Islandreise. Während meines Besuches dieses blubbernden und dampfenden Gebiets wurde meine Aufmerksamkeit auf den aktiven Geysir Strokkur (Butterfass) gelenkt. Alle 8 bis 10 Minuten schoss von ihm eine Heißwasserfontäne ungefähr 20 m in die Höhe. Beeindruckt von diesem Schauspiel, klickten jede Menge Fotoapparate, auch ich hatte nun Fotos zur Erinnerung auf meiner Speicherkarte.
Bevor ich die Reise fortsetzte, ging ich noch in das Selbstbedienungsrestaurant, um mir eine warme Mahlzeit zu gönnen. Als ich an meinem Fensterplatz ankam, saß am Tisch gegenüber Paolo und sah gespannt auf den Fernseher, indem ein Fußballspiel der WM übertragen wurde. Nach meiner Stärkung begrüßte ich ihn, er wartete noch auf seine Freundin und beide wollten dann in Geysir übernachten. Meine Planung sah anders aus, ich hatte vor, noch bis in das Hochland zu fahren, um dort zu übernachten. Also fuhr ich auf der S 35 weiter und erreichte nach 10 Kilometern den spektakulären Wasserfall Gullfoss (Goldener Wasserfall).
Auf einem schmalen Pfad ging ich bis zu den Gischt sprühenden Kaskaden, über die das Wasser in die Tiefe stürzte. Dank des guten Wetters konnte ich auch einen Regenbogen in dem Wassernebel sehen. Die Wassermassen werden von dem Gletscher Langjökull gespeist, um sich dann über die 1. Basaltstufe mit 11 m und danach über die 2. Kaskade mit 21 m in den Hvitá Canyon zu graben. Die Schlucht des Hvitá hat eine Tiefe von 70 m und erstreckt sich über 2,5 Kilometer. Am Wasserfall steht ein Gedenkstein zu Ehren einer Isländerin, die den Wasserfall vor dem Verkauf und der Nutzung zur Energiegewinnung schützte. Sie drohte unter anderem damit, sich in die Fluten des Wasserfalls zu stürzen, und ihr ist es zu verdanken, dass das Gebiet zum isländischen Staatsbesitz wurde.
Bevor ich weiter in Richtung Hochland aufbrach, füllte ich meine Wasservorräte auf. Die nächsten Kilometer befuhr ich noch einen asphaltierten Abschnitt der Kjölur-Strecke, das änderte sich jedoch bald und auf der Schotterpiste kam dann das richtige Hochlandgefühl auf. Teilweise wurde die Piste ein richtiger Knüppeldamm. An einigen Steigungen konnte ich meine Ausrüstung nur durch Schieben auf die nächste Anhöhe bewegen. Die Sonne brannte vom Himmel und der Staub kroch in jede Pore, die Landschaft entschädigte aber für die Anstrengungen. Am Fuß des Bláfell befand sich ein kleiner Parkplatz, auf dem zahlreiche Touristen einen Hügel aus Steinen errichtet hatten. An diesem höchsten Punkt der Tagestour, mit seinen 600 Höhenmetern angekommen zu sein, stimmte mich froh, zumal ich am Vortag das Tagesziel nicht mehr erreicht hatte. Anschließend ging es weiter zum Gletscherfluss Hvitá, dort war eine Schutzhütte auf meiner Karte eingezeichnet und es gab eine Brücke über den Hvitá. Der Fluss durch das Hochland wird vom Gletschersee Hvítárvatn gespeist, der von einer Gletscherzunge des Langjökull (950 km²) stammt. Nach einem kurzen Stopp am Gletscherfluss, dort füllte ich meine Wasserflaschen auf, beschloss ich aber weiter zu fahren. Ich fühlte mich gut und somit würden meine Kräfte noch für die nächsten Kilometer reichen, denn mein Tagesziel war die nächste eingezeichnete Hochlandhütte auf meiner Landkarte. Auf dem weiteren, sehr steinigen Weg kamen mir noch 2 Franzosen entgegen. Wir begrüßten uns kurz und erkundigten uns, ob alles in Ordnung sei. Sie sahen schon etwas erschöpft aus, wollten aber noch bis Geysir fahren.
Langsam wurde es auch für mich Zeit aus dem Sattel zu kommen, und schon sah ich in der Ferne schemenhaft ein Gebäude. Eine gewisse Erleichterung machte sich breit, es hätte ja auch sein können, dass es diese Hochland-Oase nicht mehr gibt. Am Abzweig zur Hütte stand auf dem Hinweisschild kein Symbol für Zelte (Camping), deshalb hatte ich die Befürchtung, hier keinen Platz für meine Übernachtung zu finden. Aber weiterfahren konnte ich nicht, also fuhr ich die Stichstraße zur Hütte, und als ich auf die Rückseite zusteuerte, sah ich eine kleine Wiese mit einem Zelt darauf. Mein Nachtlager war gesichert, neben den netten Niederländern stellte ich mein Zelt auf. Die Geschwister befuhren für 6 Wochen die Insel und wollten am nächsten Tag nach Gullfoss fahren.
Der Wind wehte heftig vom Gletscher herüber und erschwerte mir den Zeltaufbau, aber die nette Herbergsmutter half mir ungebeten, mein Zelt zu errichten. Im Übrigen waren alle Isländer auf meiner bisherigen Tour sehr hilfsbereit und fragten, während sie mir mit ihren Jeeps begegneten, ob alles in Ordnung sei. Nachdem das Zelt stand, ging ich noch duschen, welch unerwarteter Luxus in dieser Wüste. Die Elektroinstallation und auch die Garderobenhaken, bestehend aus 100er Nägeln, waren schon etwas Besonderes. Nach der erholsamen Dusche und dem Abendessen genoss ich noch den Blick auf den Gletscher Langjokull und dessen Gletscherzunge „Nordurjökull“, welch grandiose Landschaft. Es wurde eine kühle Nacht bei mäßigem Wind.
29.06.2010 Árbúdir-Hveravellir, 51 km
Am Morgen führte ich noch nette Gespräche mit Reitern, die per Pferd im Hochland unterwegs waren. Die Touristen hatten in der Hütte übernachtet und wollten in Richtung Gullfoss weiterreiten. Am Himmel wurde es dunkler und wir beeilten uns, die Zelte abzubauen. Nach Hveravellir waren es 50 Kilometer Hochlandpiste und bei 5 bis 8 km/h zogen sich die Kilometer in die Länge. Auf der Waschbrettpiste schmerzten langsam die Hände von den Schlägen, die sie auf der Hochlandpiste auszuhalten hatten. Nur die weite Landschaft und die Ruhe entschädigten dabei für die Mühen auf der Kjölur-Route.
Nach etlichen holprigen Kilometern, die mich auf diesem trotzdem schönen Abschnitt durchgeschüttelt hatten, kam in weiter Ferne das Thermalgebiet in Sicht. Bei Nieselregen erreichte ich mein Ziel, Hveravellir. Nach meiner Ankunft meldete ich mich in einer kleinen Hütte an, und überrascht stellte ich fest, dass es hier in der Wildnis ein kleines Bistro gab. Dann baute ich mein Zelt an einem dampfenden Bach auf. So etwas hatte ich noch nicht erlebt, warmes Wasser in einem Bachlauf.
Hier im Naturschutzgebiet gab es außer diesem Bach auch einen Hot Pot, der mit warmem Wasser von den Thermalquellen versorgt wurde. Diesen natürlich angelegten Badeteich suchte ich später auf, um meinem geschundenen Körper neues Leben einzuhauchen. Das Wasser hatte eine Temperatur von 35-38° Celsius. Vom Bad gut erholt, beschloss ich, das Angebot zum Abendessen anzunehmen, welches mir bei meiner Ankunft die Bedienung, hinter dem Tresen machte. Es gab etwas Warmes, eine isländische Fleischsuppe war im Angebot. Gegen 23:00 Uhr kroch ich in meinen Schlafsack, zufrieden und gesättigt von der guten Suppe.
30.06.2010 Hveravellir-Varmahlid, 118 km
Gegen 6:00 Uhr wurde ich unruhig und beschloss, die Nachtruhe zu beenden. Der graue Himmel und die nasse Wiese machten mir den Abschied von den warmen Quellen leicht. Zunächst ging es zurück bis zum Hinweisschild, auf der F 35 angekommen, dann weiter in Richtung Akureyri. Nach ca. einem Kilometer sah ich ein großes Gatter, das den Weg ver- sperrte, nun war da noch ein Hinweisschild zu erkennen. Mich beschlich die Angst, dass die Hochlandpiste gesperrt sein könnte, was für eine Dramatik, wenn ich den Weg zurückfahren müsste. Nur noch wenige Meter bis zum Gatter, dann die Erleichterung: Auf dem Schild wurde darum gebeten, das Gatter nach der Durchfahrt zu schließen. Puhh, da fiel mir ein Stein vom Herzen.
Im Hochland gab es Fliegen die versuchten mir permanent in Augen, Nase und Ohren zu fliegen. Und bei jedem kleinen Stopp umschwirrten Hunderte meinen Kopf. Das war totaler Fliegenterror, dem ich nur durch schnelle Fahrt entkommen konnte, und bei der nächsten Auffahrt holten mich die Plagegeister leider wieder ein. Mit meiner Radbrille und einem Buff gelang es mir, mich notdürftig vor den Tieren zu schützen.
Die Piste wandelte sich, es war nicht mehr so holprig und es gab mehrere Abfahrten, je weiter ich nach Norden fuhr. An einer orangefarbigen Schutzhütte rastete ich noch, bevor ich die Fahrt in Richtung Blöndulón fortsetzte. Die Landschaft wurde immer grüner und flacher bis zum Áfangafell (Berg am Stausee). Den galt es noch zu erklimmen, damit ich mir einen Überblick über den Stausee, speziell den Blöndulón verschaffen konnte. Nach der herrlichen Aussicht zog sich die Piste lang, aber sie war besser als im Hochland und so kam ich gut voran. Nach der Staumauer ging es weiter in Richtung Ringstraße bis Varmahlid. Wie aus dem Nichts tauchte eine herrlich asphaltierte Straße auf, nun dachte ich schon fast am Ziel (Ringstraße) zu sein, aber nach zwei Kehren radelte ich wieder auf Splitt. Es ging auf diesem tückischen Splitt wenigstens bergab, die Gefahr zu stürzen war aber sehr groß und so bemühte ich mich, konzentriert weiterzufahren. Bei Ar´tun passierte ich eine Brücke und gelangte nach leichter Auffahrt endlich auf die Ringstraße. Von Varmahlid trennten mich nur wenige Kilometer, nach der nächsten Kurve ging es noch einen langen Anstieg, 450 Höhenmeter, hinauf. Also kurbelte ich mich im kleinsten Gang hinauf, es war sehr schweißtreibend, bei sommerlichen Temperaturen. Die Abfahrt wurde, sehr zu meiner Freude, genauso lang und so kam ich mit viel Schwung bis Varmahlid.
Gleich nach dem Ortsschild gab es einen Supermarkt mit einem kleinen Bistro, indem ich meinen Bärenhunger stillte. Dass mein Gesicht noch staubverschmiert war, bemerkte ich erst nach einem Besuch auf der Toilette. Hunger siegte über Outfit und ich begann mich nur notdürftig zu reinigen. Nach meinem Schmaus fuhr ich anschließend zum Campingplatz. Als ich vom Duschen kam, baute ein Pärchen, ihr Zelt neben meinem auf. Wir kamen bei einer Dose Leichtbier ins Gespräch, für 2 Wochen reisten sie mit einem Mietwagen um die Insel. Von den Deutschen aus Kassel und Regensburg erfuhr ich noch wichtiges über den Streckenverlauf und die Sehenswürdigkeiten auf meinem weiteren Weg (sie fuhren entgegengesetzt um die Insel). Wir sahen uns noch Fotos ihrer Reise auf dem Display ihrer Kamera an und tauschten E-Mail-Adressen aus, bevor wir schlafen gingen.
01.07.2010 Varmahlid-Silfrastadir, 20 km
Früh um 6:00 Uhr wurde ich wach und begann mir das Frühstück zu zubereiten. Während ich meine Sachen zusammenpackte, zogen sich sehr dunkle Wolken über dem Tal zusammen. Gegen 8:00 verließ ich den Campingplatz in Richtung Akureyri, und diesen Ort wollte ich an diesem Tag unbedingt erreichen. Gegen 9:00, als ich in meine Regensachen stieg, setzte leichter Regen ein und es gab keinen hellen Flecken mehr am Himmel. Noch gut 90 Kilometer bis nach Akureyri hatte ich noch vor mir und radelte schnell voran, um dieses Tal zu verlassen. An der nächsten Kurve bekam ich zu dem Regen noch starken, böigen Wind von der Seite. Es hätte mich einige Male fast vom Rad geholt. Zu meinem Frust wurde der Wind immer stärker, und auf einmal erfasste der Wind meine Kartentasche. Die Landkarte wurde wie von Geisterhand vor mir aufgeblättert, bevor sie vom Wind davon getragen wurde. Klatsch machte es und sie lag in einem Tümpel. Gut, dass ich eine wetterfeste Karte gekauft hatte, denn so konnte ich sie einfach aus dem Wasser ziehen und zurück in die Kartentasche legen. Das ging nochmal gut! Nur fahren konnte ich nicht mehr, der Wind wurde immer stärker und meine Sachen waren schon total durchnässt. Da kam leichte Verzweiflung auf, gerade erst 20 Kilometer gefahren, geschoben und es war schon 12:00 Uhr, Akureyri konnte ich an diesem Tag vergessen.
Meine Versuche Autos anzuhalten waren erfolglos; zwar hielt ein Ford-Camper mit einem deutschen Pärchen, aber für mein Rad und mich war dort nicht genug Platz. Nun war klar, auch mit fremder Hilfe konnte ich an diesem Tag nicht mehr nach Akureyri fahren. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich ein Bauernhof, der einzige weit und breit. Mein Gedanke mich dort zu melden und um eine Übernachtung auf der Wiese zu bitten, schien mir der einzige Ausweg zu sein. Nach dem Klopfen an der Haustür öffnete mir ein älterer Herr die Tür. Er war von meinem Wunsch nicht sehr erbaut, aber als er Zelt hörte, durfte ich bleiben. So baute ich bei Sturm und Dauerregen mein Zelt auf, brachte noch zusätzliche Sturmleinen an und befestige sie an großen Feldsteinen. Wenn jetzt das Zelt beschädigt werden würde, hätte ich ein riesiges Problem.
Als alle Taschen im Zelt verstaut und die nassen Sachen vom Leib waren, legte ich mich in den Schlafsack und kochte mir Tee. Langsam wurde mir warm. Als ich so da lag, dachte ich über die selbst gewählte Tour nach. War meine Entscheidung, die Insel zu umrunden, richtig? Zweifel kamen auf und gegen 19:30 Uhr wurde mein Zelt noch immer geschüttelt und der Regen prasselte endlos aufs Zeltdach. Meine Gedanken kreisten im Kopf: Sollte ich abreisen oder bleiben? Zur Ablenkung wollte ich telefonieren, aber leider gab es kein Netz in dieser verlassenen Gegend und die Akkus für meine Geräte waren auch schon fast leer. Die Energie kam von meinem E-Werk am Fahrrad, es produzierte aber erst ab 8-10 km/h den nötigen Strom. Auf dem kurzen Stück bis zu dieser Wiese kam nicht genügend Fahrleistung zusammen, so dass die Akkus nicht richtig aufgeladen werden konnten. Was blieb, war meine Hoffnung, mich bald aus dieser blöden Situation befreien zu können.
Bis zum Morgen rüttelte der Sturm an meinem Zelt und der Regen ergoss sich endlos auf mein Zeltdach. An Schlaf war nicht zu denken, dazu kam noch, dass das Zelt etwas abschüssig stand und so peu á peu bewegte ich mich mit meiner Isomatte vom Fußende des Zeltes in Richtung Apsis.
02.07.2010 Silfrastadir-Systragil, 108 km
Am Morgen ließ der Sturm endlich nach und es hörte auf zu schütten. Um 7:00 Uhr fuhr ich los, hier nur noch weg, dachte ich. Im Süden sah ich etwas blauen Himmel, dafür zogen von Norden neue Wolkenverbände heran. Soll ich weiter nach Akureyri fahren, oder zurück nach Varmahlid, um dort einen Bus zum nächsten Tagesziel zu nehmen? Ein aktueller Wetterbericht würde mir die Entscheidung erleichtern, aber den hatte ich nicht. Da der Wind nachließ, beschloss ich meine Fahrt nach Akureyri fortzusetzen.
Die Straße führte in eine von tiefen Schluchten gesäumte Landschaft und eine lange Steigung über den Pass „Öxnadalsheiði“ war zu überwinden. Dabei blies mir ständig böiger Wind entgegen, als wenn die Höhenmeter nicht schon gereicht hätten. Schafe weideten am Wegesrand und hielten einen Moment inne, als sie mich sahen, aber auf meiner Speicherkarte wollten sie nicht landen: Kurz bevor ich den Auslöser betätigen konnte, liefen sie weiter. Die Straße führte an eingezäunten Landstrichen vorbei und ich durchfuhr immer wieder kurze Waldabschnitte. An so einem Wäldchen gab es einen Rastplatz, mitten in einer Baumgruppe, und ein Gebirgsbach plätscherte vorbei. Die Fahrerin eines Land Rovers mit Schweizer Kennzeichen rastete auch an diesem schönen Fleckchen Erde. Es erinnerte sie vielleicht an einen Ort ihrer Heimat. Bei mir ging es nach einer kurzen Pause und Stärkung mit einem Power Riegel weiter. Auf dem weiteren Streckenverlauf sah ich noch viele dieser eingezäunten Aufforstungsprogramme, hier entstehen neue Waldflächen. In der entfernteren Zukunft wird sich das Islandbild hier wohl durch die Waldbestände nachhaltig verändern.
Gegen Mittag traf ich in Akureyri (17.500 Einwohner) ein, auf mich wirkte die Hauptstadt des Nordens sehr gemütlich. Die Stadt Akureyri ist nur 100 km vom Polarkreis entfernt, doch im Sommer herrschen für isländische Verhältnisse milde Temperaturen. Dieses Klima begünstigt den Baumbestand der grünen Stadt, hier findet man Bäume von beachtlicher Größe. Ein Bummel durch die Stadt lenkte meine Betrachtung auf alte Häuser, die zum Teil noch gut erhalten waren. Diese stammen teilweise aus der Zeit, als die Stadt noch dänischer Handelsposten war. Nach einem ausführlichen Bummel durch die Hafnarstraeti und vorbei an der Stadtkirche (Akureyrarkirkja) füllte ich in einem Supermarkt noch meine Lebensmittelvorräte auf.
Eigentlich war es noch zu früh, um hier mein Zelt aufzuschlagen, so beschloss ich, noch zum nächsten Campingplatz zu fahren. Die R1 führte über viele Kilometer mit einer langen ca. 4% Steigung, bevor ich abwärts zu meinem neuen Tagesziel rollte. Es wurde dann auch 17.00 Uhr, als ich in dem wunderschön bewaldeten Gebiet ankam. Der Campingplatz wurde von einer Isländerin betrieben. In einem netten Gespräch erfuhr ich von ihr, dass sie zwei Jahre in Deutschland gelebt hatte, sie hatte dort mit Behinderten gearbeitet. Aus dieser Zeit hat sie viel mitgenommen, berichtete sie. Doch jetzt war sie hier und ihr Campinglatz lag idyllisch an einem kleinen Wasserfall eines Gebirgsbaches. Hier schmeckte mein Abendessen, das sehr viel üppiger als sonst ausfiel, und ich konnte es bei Sonnenschein einnehmen, das war bisher eine Seltenheit.
03.07.2010 Systragil-Mývatn, 87 km
Der Morgen begann grau und regnerisch. Ich nutzte einen trockenen Moment, um notdürftig mit einem Lappen das Zelt abzutrocknen. Der Track begann gegen 8:30 Uhr, der Wind wehte von vorn und langsam regnete es sich ein. Bei jedem Stopp zog ich eine trockene Wechseljacke unter die Regenjacke, um nicht auszukühlen. Nach der kurzen Pause verstaute ich die Jacke dann wieder in dem Packsack.
Ein Lichtblick auf der R1 war der Wasserfall Godafoss (Wasserfall der Götzen/Götter). Die Wolken hingen so tief, als wollten sie sich mit den Wassermassen des Godafoss vereinen. An diesem Ort soll sich einer Sage nach der Häuptling „Porgeir“ im Jahre 1000 zu einem Fürsprecher der neuen Religion gemacht haben. Er soll demnach die alten Götzenbilder eingesammelt und in den Wasserfall geworfen haben. Als ich mich gerade von dem schönen Anblick verabschieden wollte, trafen mehrere Enduro-Fahrer ein, an ihren Kennzeichen erkannte ich, dass es deutsche Landsleute waren. Sie kamen gerade vom Mývatn, dort hatte es den vorherigen Tag auch geregnet. Tolle Aussichten! Die Motorradfahrer legten am Tag 200 bis 300 km zurück und wollten nach 2 Wochen die Insel umrundet haben, um dann mit der Fähre zurückzufahren.
Mein Weg führte weiter in Richtung Mývatn (Mückensee), vorbei an Lavafeldern und Pseudokratern. Die Ringstraße machte einen Bogen um den See und führte in Richtung Norden, dabei durchfuhr ich viele schön bemooste, zum Teil aus dem Wasser ragende Lavafelder. Diese bizarren Lavastrukturen entstanden durch das Zusammentreffen von Wasser und heißer Lava. Bei einem der folgenschwersten Ausbrüche im Jahre 1792 wurden vier Höfe in Reykjahlid (ein Ort am Mückensee) unter der Lava begraben. Vor der auf einem Hügel stehenden Kirche machte die Lava allerdings halt. Noch heute kann der moosbedeckte, erstarrte Lavafluss vor dem Neubau der Kirche auf altem Standort besichtigt werden.
Bevor ich in Reykjahlid den Campingplatz ansteuerte, kaufte ich noch im Supermarkt Lebensmittel ein. Zufällig traf ich vor dem Laden eine Radreisende, die von der Fähre aus Seydisfjördur kam und in 3 Wochen die Insel umfahren wollte, bevor sie ihre Rückreise mit der Fähre wieder antrat. Eigentlich hatte ich nur noch einen Gedanken, raus aus meinen nassen Sachen, aber wir hatten so viele Themen rund um das Radreisen, dass wir uns vor dem Laden an einer Sitzgruppe niederließen. Zum Abschied ulkten wir noch darüber, uns im Süden eventuell nochmals zu begegnen, da sie in entgegengesetzter Richtung um die Insel fuhr. Schließlich verabschiedeten wir uns und ich fuhr zum Campingplatz am See.
04.07.2010 Mývatn-Mödrudalur, 82 km
Ab den frühen Morgenstunden regnete es und meine Wäsche wurde auf der Leine noch mal gespült. Als ich aufstand, wusste ich, dass einige Ausrüstung wie das Zelt, meine Wäsche und die Leine nass verpackt werden musste. Es hatte sich auch um den Mückensee eine dichte Wolkendecke gezogen. Also wischte ich das Zelt außen trocken, knöpfte das Innenzelt heraus und verstaute alles getrennt. In meiner Nähe campte eine Jugendgruppe aus Frankreich, sie waren schon gut drauf und bereiteten das Frühstück in ihrem Gemeinschaftszelt vor. Sie schienen keine Probleme mit der Nässe zu haben. Meine Radschuhe waren noch klatschnass und aus der Not heraus wollte ich sie im Waschraum mit dem Föhn trocknen. Doch das konnte ich vergessen, eine tschechische Reisende aus dem Hotelbus trocknete sich damit die Haare. Eine Reise in solch einem fahrenden Hotel, das muss man mögen dachte ich beim Anblick der engen Kabinen. Da ziehe ich meine, zur Zeit feuchte Art, zu reisen dreimal vor.
Zurück am Rad, verpackte ich die nassen Schuhe und zog mein Ersatzpaar an gut, das zweite Paar nicht von der Packliste gestrichen zu haben. Als ich meine Packtaschen am Gepäckträger anbrachte, kamen meine Zeltnachbarn und wir wechselten noch ein paar Sätze. Die Deutschen waren zum Wandern hier und machten mir Hoffnung auf besseres Wetter, es solle ab Montag besser werden, sagten sie.
Nach einem Abstecher zur Kirche brach ich in Richtung Egilsstadir, genauer gesagt nach Mödrudalur auf. Der Regen wurde wiederum zu meinem ständigen Begleiter, dafür gab es keinen Gegenwind mehr, auch dafür war ich schon dankbar. Die Strecke führte zum Námafjall, vorbei an einer Kieselgurfabrik. Aus dem kieselsäurehaltigen, abgestorbenen Algenschlamm des Mývatn Sees wird Kieselgur produziert. Dieses Material wird wegen seiner geringen Schall- und Wärmeleitfähigkeit häufig im Bereich von Schallschutzwänden und zu Isolierzwecken eingesetzt. Am Fuß der Fabrik entstand ein kleiner See mit 40 °C warmem Wasser, hier ist baden erlaubt, wer´s mag. Auf dem weiteren Track waren die Anstiege moderat und ich kam gut voran. Ab und zu wurde die Sandwüste durch kleine, von Strandhafer bewachsene grüne Inseln unterbrochen. Der Weg führte vorbei an erloschenen Vulkanbergen, die aus der Hochebene herausragten. Davon sind die markantesten der Hrossaborg sowie die Königin der isländischen Berge Herðubreið (1.682 m). Nach einigen Kilometern näherte ich mich der Brücke über den Jökulsa á Fjöllum und der weitere Verlauf der R1 führte durch eine graue Wüstenlandschaft. In einer Gegend, die man Útland nennt, zweigte die S 901 nach Mödruðalur ab.
Das Wetter wurde besser und ich konnte meine Regensachen verpacken. Es waren nur noch 8 Kilometer Piste bis nach Mödrudalur. Der Ort befindet sich in einer fruchtbaren Gegend, hier betreiben Bauern noch Höfe. Der Campingplatz lag hinter einer Cafeteria, sehr schön auf einer langgezogenen Wiese. Während des Nachmittags hielten Busse und die Touristen wurden auf der Terrasse bedient, während sie die schöne Aussicht genossen. Als die Touristenbusse nicht mehr ihre Menschen ausspuckten, wurde es ruhig, nur der aufgeregte Hund einer Camperin war noch zu hören. Es gab an diesem Tag nur sehr wenige Übernachtungsgäste hier. Mein Abendessen konnte ich noch bei sonnigem Wetter genießen, bevor sich von Südosten erneut dunkle Wolken näherten und sich die feuchte Fracht über meinem Zelt ergoss.
05.07.2010 Mödrudalur-Egilsstadir, 95 km
Der Morgen begann, wie der Abend aufhörte: mit Dauerregen. Am liebsten wäre ich im Schlafsack geblieben, aber mein Tagesziel Egilsstadir stand auf dem Programm. Der Regen ließ nach und für einen kurzen Moment war es trocken, da packte und verstaute ich das nasse Zelt. In Fahrtrichtung erwartete mich ein grauer Talkessel, durch den die Straße schnurgeradeaus führte, vorbei am Abzweig zur F 910 in Richtung Askja und weiter auf der alten Ringstraße Nr.1. Durch ein enger werdendes Tal ging es dann berg- auf. An einer leichten Abfahrt blockierte plötzlich das Vorderrad, schnell bremste ich, um der Ursache auf den Grund zu gehen. Ein Expander vom linken Frontroller hatte sich gelöst und war zwischen dem Bremskörper und der Felge eingeklemmt. Der zweite Haken des Expanders klemmte zwischen dem Schutzblech und dem Reifen fest. Den Expander musste ich freischneiden und die Bremse zerlegen, damit ich die Blockade lösen konnte. Da hatte ich Glück im Unglück, außer dem zerstörten Expander gab es keine weiteren Schäden am Rad. Die Regenfahrt konnte fortgesetzt werden.
In der schöner werdenden bergigen Landschaft rauschten so manche Wasserfälle in Richtung Tal. Dafür hatte ich leider kaum einen Blick übrig, ziemlich ausgekühlt erreichte ich bei diesem Sauwetter den Ort „Skjöldólfsstaðir“. Die beginnende Unterkühlung und der Hunger verursachten leichte Kreislaufprobleme, aber nach einem warmen Essen und einer Tasse Kaffee war die Radwelt wieder in bester Ordnung. Zu dem Gebäudekomplex gehörte auch ein kleiner Kiosk, es gab weiterhin noch eine Tankstelle, ein Restaurant und ein Schwimmbad. Als ich gestärkt vor die Tür trat, hatte sich der Regen verzogen und jetzt konnte ich die letzten Kilometer nach Egilsstadir in Angriff nehmen. Die vielen Kehren und darauffolgenden Abfahrten erleichterten mir das letzte Teilstück.
An der nächsten Betonbrücke überquerte ich die Jökulsá á Brú, und die schöne Aussicht genießend, machte ich von dem Rastplatz an der Brücke Gebrauch. Hier verzehrte ich meine letzten Vorräte und freute mich, kurz vor meinem Tagesziel zu sein. Nach einem Anstieg überquerte ich den Fluss Lagarfljót, um danach Egilsstaðir zu erreichen. In dem kleinen Städtchen gab es keine nennenswerten Sehenswürdigkeiten, aber eine gute Gelegenheit, die Vorräte aufzufüllen, im großen Supermarkt fehlte es an nichts.
Mit vollen Packtaschen fuhr ich zum Zeltplatz, der aber schien bis auf den letzten Platz belegt zu sein. Zwischen zwei Zelten ergatterte ich noch ein Fleckchen Wiese. Neben mir zeltete eine Familie aus England, sie hatten zwei Kinder und waren mit ihren Fahrrädern auf der Insel unterwegs. Die für mich bis dahin fremden Menschen begrüßten mich sehr nett. Leider konnte ich nicht alles verstehen, was sie mir mitteilten. Das Abendessen war reichlich und auf dem vollen Platz tobte noch lange das Leben.
06.07.2010 Egilsstadir-Djúpivogur, 85 km
Am Morgen um 7:30 Uhr packte ich meine Sachen zusammen, um früh loszufahren. Als das Rad beladen zur Abfahrt bereitstand, wurde ich von einem Camper angesprochen. Ein Hamburger erkundigte sich nach meiner Reise und berichtete von seiner Tour. Peter war mit dem Liegerad unterwegs. Ein weit gereister Fahrradfahrer, der von Deutschland über Dänemark, Schweden und Norwegen nach Island radelte. Im September wollte er zurück in Hamburg sein, natürlich auf dem gleichen Weg. Während unserer angeregten Unterhaltung berichtete Peter von seinen Reisen durch Australien und Neuseeland. Der Liegeradler hat eine eigene Homepage, die ich mir vornahm anzusehen, sobald ich zurück in Deutschland war. Zum Abschied wünschten wir uns gegenseitig noch eine schöne Reise und er sagte im Weitergehen noch, Island besitze eine Traum-Landschaft, sei aber nichts für Weicheier. Wie recht er hatte!
Ich fuhr gegen 9:00 Uhr vom Platz. Nach ca. 2 Kilometern begann erneut Nieselregen, also zog ich meine Regensachen wieder über. Aber dieses Mal nur für kurze Zeit, der Regen hielt nicht lange an, und so konnte ich bei guten Straßenverhältnissen schnell 20 Kilometer zurücklegen. Nach dem asphaltierten Ende der Ringstraße ging es auf Splitt weiter und kurz darauf erreichte ich den Öxipass (Nr. 939). Vor dem eigentlichen Pass befand sich eine lange Auffahrt mit 4-8 % Steigung. Dann ein Schild mit dem Hinweis auf die nächsten 19 Kilometer mit 17 % Steigung, da bangte ich um die Zeit. Würde sie reichen, um über den Pass zu fahren? Aber im Verlauf der Fahrt war es nicht so extrem wie angenommen, die Kjölur Piste war viel anspruchsvoller.
Als ich am höchsten Punkt des Tracks, mit ca. 600 Höhenmetern ankam, wurde es dort Oben zunehmend nebliger. Die Sichtweite betrug teilweise nur 20 bis 50 m, und damit ich von anderen Fahrern gesehen werden konnte, schaltete ich meine Beleuchtung ein. Nach der Bergkuppe ging es in rasanter Abfahrt durch ein Tal, das aus einem Märchen stammen könnte. Wasserfälle, satte grüne Berghänge in den unterschiedlichsten Farbnuancen wechselten sich ab. In diesem Märchenland könnten Trolle und Elfen zu Hause sein. Bei der weiteren Abfahrt war Vorsicht geboten, der Splitt war tückisch und hätte leicht zu Stürzen führen können. Endlich erreichte ich Melshorn und bald auch die Fjordküste von Berufsfjödur. Die letzten Kilometer zogen sich hin, und ungefähr 10 Kilometer vor Djúpivogur setzte dann noch heftiger Regen ein.
Total nass kam ich in dem kleinen, 350 Einwohner zählenden Küstenort an. Die ältesten Häuser stammen aus der Zeit von 1788 bis 1920. Während dieser Zeit hatten die Dänen das Handelsmonopol und errichteten hier ihre Holzhäuser. Aus dem Jahr 1850 stammt ein altes rotes Packhaus, jetzt ist es ein Museum mit Café und Souvenir Laden. Im einzigen Lebensmittelmarkt kaufte ich neue Vorräte ein. In dem Laden regnete und stürmte es nicht, der Aufenthalt war eine echte Wohltat. Nur wenige Meter entfernt lag auf einer Anhöhe über dem Hafen der Campingplatz. So gegen 18:00 Uhr hörte der Regen auf und ich baute mein Zelt auf. Aber vom alles überragenden Pyramiden-Berg Búlandstindur zogen sehr dunkle Wolkenformationen heran. Das konnte nichts Gutes bedeuten, und nach einer Stunde fing es auch an zu stürmen.
Mein Zelt lag hinter einem 4-Personenzelt, und das hielt den Wind, der vom Hafen auf die Wiese blies ein wenig ab. Gegen 23:00 Uhr bangte ich immer noch um mein Zelt, an dem der Wind so stark zerrte. Zur Sicherheit kontrollierte ich nochmal die Abspannung und zog noch einige Leinen fest. Diese Nacht wollte ich richtig ausschlafen, um für die 100 km nach Höfn am nächsten Tag gut ausgeruht zu sein. Das Wetter hatte jedoch diese Runde gewonnen die ganze Nacht tobte es sich über dem kleinen Ort aus.
07.07.2010 Djúpivogur-Stafafell, 61,5 km
Am Morgen wurde ich aus einer Art Halbschlaf geweckt: Der Sturm trat in eine neue Dimension. Als ich durch die Ventilationslüfter am Zelt sah, lagen meine hinteren Sturmleinen (in Windrichtung) alle am Boden und ein letztes Zelt wurde neben mir noch eilig abgebaut. Der Wind spielte schon mit dem Zeltmaterial, da beschloss ich, alles zusammen-zupacken. Meine Taschen standen sicherheitshalber schon bereit, und trotz starkem Regen und Wind baute ich das Zelt ab. Es gelang mir die Zelthülle vom Gestänge zu knüpfen, ohne dem Wind eine Chance zu geben. Jetzt verstaute ich Innen- und Außenzelt getrennt in den Packsäcken und begab mich in das Gemeinschaftsgebäude auf dem Campingplatz.
Im Gebäude herrschte schon reges Treiben, im Flur standen und lagen Schuhe aller Größen und Marken vereint. Das Gebäude bestand aus zwei Waschräumen mit WC, einer Gemeinschaftsküche sowie einem kleinen Aufenthaltsbereich. In einem Raum mit 3 großen Tischen und einem kleineren Seitenraum waren die Camper untergekommen. Alles wuselte umher, es wurde gekocht, Frühstück gegessen, die Ausrüstung auf den Heizungen getrocknet. Die Menschen kamen aus unterschiedlichsten Ländern, es waren Engländer, Franzosen, Spanier und Tschechen, die alle auf die Beruhigung des Wetters warteten. Irgendwie fand ich auch ein kleines Plätzchen, um meine Sachen zu trocknen und etwas Warmes zu zubereiten. So nach und nach machten sich die Gruppen fertig für die Weiterreise, sie verpackten ihre getrockneten Zelte in ihren Fahrzeugen und traten die Weiterreise an. Zuerst verließen die Franzosen, Spanier und Engländer das Haus, zuletzt verabschiedeten sich die Tschechen, zurück blieb ich und freute mich über den freigewordenen Platz auf den Heizkörpern.
Es stürmte und regnete noch immer, so konnten meine Sachen weiter trocknen. Die Zeltunterlage (Footprint) war total nass, und als sich das Wetter später beruhigte, hing ich sie auf eine Leine am Haus. Die Unterlage sollte wenigstens auf einer Seite trocken sein, damit ich das Zelt sofort am nächsten Ort aufstellen konnte. Als ich mein Rad beladen wollte, sah ich, wie sich das hintere Schutzblech seitlich bewegte. Nun auch das noch! Also das Werkzeug, die Ersatzteilkiste aus der Packtasche hervorholen und das Hinterrad ausbauen. Wie gut, eine passende Schraube dabei zu haben, so war die Reparatur schnell beendet. Jetzt noch Brot einkaufen und dann ging es bei ruhigem Wetter und Sonnenschein gegen Mittag endlich los.
Nach ungefähr 8 km sah ich dunkle Wolken am Fjord aufziehen, natürlich in Fahrtrichtung, das Regenzeug anziehen und tapfer weiterfahren hieß die Devise. Nach der nächsten Bucht würde es schon besser werden, denn die Hannoveraner, die ich noch vor meiner Abfahrt auf dem Campingplatz getroffen hatte, hatten gesagt: „Das Wetter soll ab heute besser werden“. Stattdessen verschlechterte sich das Wetter noch und der Wind nahm sogar wieder zu. Die Tour nach Höfn zu fahren hatte ich schon vorher verworfen, aber beim Kilometer 60 gab es einen Campingplatz, der Ort hieß Stafafell. Den wollte ich ansteuern, und nur mit diesem Ziel im Kopf und keinen Alternativen, denn es gab keinen anderen Ort mehr auf dieser Strecke, versuchte ich voranzukommen. Mal stemmte ich mich gegen den Wind und Regen und nach der nächsten Kehre kam die Dusche von hinten, oder auch von der Seite. Beim Durchfahren der Täler blies der Wind in Böen von der Seite und ich konnte mich nur mit Mühe auf dem Rad halten.
Von der schönen Küstenlandschaft sah ich leider nichts, es war alles grau und nass. An der nächsten Kehre wurde der Wind so stark, dass er mich und das Rad auf die Fahrbahnmitte trieb und schließlich umwarf. In größerer Entfernung kam ein Jeep angefahren, durch Handzeichen bat ich ihn anzuhalten, denn ich musste mein Rad erst in dem Sturm aufrichten. Meine PET-Wasserflasche kullerte auf der Gegenfahrbahn vor ein Rad des Jeeps, darauf stieg die Fahrerin aus und fragte, ob sie behilflich sein könne. Meine Antwort war „alles o.k.“ und sie möge mir bitte die Wasserflasche reichen. Darauf hin bekam ich meinen Wasservorrat und sie setzte ihre Fahrt fort. Es konnten nur noch ca.10 km bis zum Campingplatz sein, das motivierte mich und ich trieb mich voran.
Beim Überqueren einer Brücke kam stark böiger Seitenwind auf und ich konnte mich gerade so halten schräg stehend und das Rad halb liegend, wartete ich, bis der Sturm etwas nachließ. Fahren oder schieben war in dieser Situation unmöglich. So einen Sturm hatte ich noch nie erlebt. Der Wind ließ etwas nach; ich nutzte den Moment und fuhr weiter, aber nach wenigen Metern wurde ich erneut vom Rad geholt und mit dem gesamten Gepäck liegend über die Fahrbahn geschoben. Ich richtete mich auf und wollte nur noch die nächste Kehre erreichen, dann führte die Straße weg von der Küstenlinie. Der Wind würde dort hoffentlich nicht so stark sein. Als ich so mein Rad hielt und mich gegen die nächsten Böen stemmte, die jetzt in immer kürzeren Abständen folgten, brüllte ich verzweifelt Rasmus an, er solle mich endlich zum Zeltplatz lassen. Jetzt wurde mir klar: Der Wind würde nicht nachlassen, aber meine Kräfte schwanden und die mitgebrachten Brote konnte ich nicht essen. Wie und wo denn auch?
Plötzlich hielt ein Auto neben mir und eine freundliche weibliche Stimme fragte, ob sie mir helfen könne. Daraufhin antwortete ich: „Ja, bringen Sie mich zum nächsten Zeltplatz.“ Darauf antwortete sie: „Aber das Fahrrad bekommen wir nicht mit.“ Von meinem Rad wollte ich mich unter keinen Umständen trennen, ich bedankte mich deshalb für das nette Angebot. Dann fuhr ich weiter, das heißt, ich wollte weiter fahren, aber da kam die nächste Böe und drückte mich mit großer Wucht gegen das Auto. Ich konnte gerade noch meinen Lenker von ihrem Außenspiegel fern halten, sonst hätte er Schaden genommen. Daraufhin erkannten die Frauen wohl meine ausweglose Situation, die ich noch nicht wahr haben wollte. Sie hielten erneut, der Wind und Regen drückte beim Herablassen der Fensterscheibe in das Fahrzeuginnere, wie ich es noch nicht gesehen hatte. Nach der erneuten Frage „Können wir sie nicht doch mitnehmen?“ zögerte ich einen Moment. Aber es war klar, hier würde ich keinen Meter weiterkommen, also war ich bereit, mein treues Gefährt zurück zulassen. Wir verstauten die Radtaschen im Auto, mein Fahrrad verschwand hinter einem kleinen Felsen am Straßenrand.
Als ich im Auto saß, war ich sehr dankbar und freute mich, diese Entscheidung getroffen zu haben. Die sehr netten Schweizerinnen wollten mich zum Campingplatz fahren und dann das Rad nachholen lassen. Lea und ihre Mitfahrerin berichteten während der Fahrt im Auto vom Fahrverbot für Busse an diesem Tag. Gut dachte ich, dass ich das jetzt auch erfuhr und sie sich so unglaublich bemüht hatten, mich aus dieser Schei… Situation zu befreien. Nach kurzer Suche fanden wir, im zweiten Anlauf, den Weg zur Schlafsack-Unterkunft, denn mein Zelt konnte ich in diesem Sturm nicht aufbauen. So kam ich erstmals während meiner Reise zu einer festen Unterkunft. Bevor meine Retter sich in Richtung Höfn verabschiedeten, hatten sie noch mit dem Gastwirt den Rücktransport meines Rades organisiert. Für so eine selbstlose Hilfe bedankte ich mich sehr herzlich. Die beiden Frauen empfanden ihre Hilfe als normal und wollten keine große Sache daraus machen. Sie beeindruckten mich mit ihrer Art und Weise, damit umzugehen. Mit einer E-Mail sendete ich nach meiner Reise, zu Hause angekommen, noch einen Dankesgruß.
Nun hatte ich ein Quartier, dort stellte ich die nassen Sachen ab und wir fuhren los, um das Rad zu holen, nach etwa 15 Minuten hatte ich meine Ausrüstung wieder zusammen. Der Spiegel und mein Fahrradtacho waren zwar abgefallen, aber alles kein Problem. Hauptsache, ich war dem erbarmungslosen Windkanal entkommen. Gegen 22:15 Uhr stürmte es immer noch an meinem Fenster und die Sachen trockneten langsam auf der Heizung. Im Gemeinschaftsraum sah ich mir mit Franzosen und Tschechen an, wie die Spanier die Deutschen aus dem Halbfinale der Fußball-WM kickten. Das hätte ich mir vorher auch nicht träumen lassen. Anschließend fiel ich tot ins Bett und schlief sehr gut, wie schon lange nicht mehr.
08.07.2010 Stafafell-Höfn, 45,5 km
Nach dem missglückten Versuch, nach Höfn zu gelangen, startete ich einen erneuten Anlauf. Ganz in aller Ruhe packte ich meine Sachen und nähte noch abgerissene Laschen an meine Regenüberschuhe, die hatten gestern den Rest bekommen. Inzwischen waren dann auch die letzten Sachen auf der Heizung trocken. Als ich das Rad zu beladen begann, sprach mich noch ein Landsmann an. Er war ebenfalls mit dem Rad unterwegs und strandete hier aus der Gegenrichtung kommend. Hier fuhr er seine 19. Tour weltweit, sagte er, ein Minimalist mit nur 20 kg Gepäck am Rad. Wir tauschten uns noch über die zu fahrenden Strecken aus, denn er kam über Landmannalaugar, meine nächste geplante Hochlandstrecke. Seine Informationen über die Wasserstände in den Furten waren nach den regnerischen letzten Tagen von großer Bedeutung für mich. Ebenso konnte er sich mit meinen Erfahrungen auf der Kjölur- Piste ein Bild von der Hochlandstrecke machen. Anschließend verabschiedeten wir uns und wünschten eine gute Tour bei besserem Wetter.
Die Franzosen und Tschechen bestiegen einen Hochlandbus und fuhren zum Wandern in die Berge. So leerte sich die Herberge langsam. Im Gebäude gab es zwar einige bauliche Mängel, aber dadurch hatte es auch einen unverwechselbaren Charme. Auf der Strecke nach Höfn konnte ich noch einen freien Blick aufs Meer erhaschen, bevor ich den 1.300 m langen Tunnel „Alamannaskardsgöng“ befuhr. An der Tunnelausfahrt wurde der Blick auf den riesigen Gletscher Vatnajökull frei. Nach nur wenigen Kilometern kam ich in der kleinen Stadt Höfn an. Die Hafenstadt mit ihren 1.600 Einwohnern besitzt einen schönen Campingplatz mit einem tollen Blick auf den Gletscher.
Auf dem Platz kam ich so gegen 14:30 Uhr an und konnte in aller Ruhe mein Mittagessen zubereiten. Das Gemeinschaftsgebäude verfügte über einen kleinen Kochplatz, dort gesellte sich ein Herr aus Ungarn zu mir, der in 6 1/2 Wochen die Insel erkunden wollte. Beim Essen berichtete er mir, dass er eigentlich geplant hatte, die Strecke zu wandern. Aber als er zufällig ein herrenloses Fahrrad in einem Fluss fand, änderte er seinen Plan und reiste ab jetzt mit dem verrosteten Gefährt weiter. Mit solch schlechter Ausrüstung traf ich bisher noch keinen auf Island. Er schien aber dabei erfolgreich zu sein, ein echter Lebenskünstler.
So nach und nach füllte sich der Platz. Im Internetcafé versuchte ich noch ein E-Mail zu senden. Leider kam mein Reise-USB-Stick nicht mit den Sicherheitseinstellungen des Computers zurecht. Also gab ich mein Lebenszeichen per Telefon weiter. Am Abend, als ich bei der Zubereitung des Abendbrots war, streckte mir jemand die Hand entgegen. Es war Paolo, wir hatten uns in Pingvellir und Gullfoss getroffen. Schön, dass wir uns nochmal sahen! Er berichtete, den gleichen Track gefahren zu sein wie ich.
Zu einem späteren Zeitpunkt fachsimpelten zwei bayrische Landsmänner neben meinem Zelt über meine Zeltabspannung. Sie waren mit einem Bus unterwegs und berichteten von einer Bekannten, die sie auf der Fähre kennen-gelernt hatten. Sie erzählten von ihrem Pech, denn kurz vor Akureyri hatte sie einen Felgen bruch. Dort wartete sie jetzt auf das Ersatzteil, welches in fünf Tagen eintreffen sollte. So einen Reiseverlauf wünscht man keinem, stellten wir gemeinsam fest. Der Abend neigte sich dem Ende entgegen und es wurde Zeit für die Nachtruhe.
09.07.2010 Höfn-Svinafell, 130 km
Da ein langer Kanten bevorstand (130 km), war ich früh auf. In der Nacht holte mich meine Isomatte wiederholt aus dem Schlaf. Dieses verdammte Leck! Als ich zum Frühstücken am Gemeinschaftshaus saß, sprach mich ein weiterer Bustourist an. Es war ein Schweizer und er wollte mit seiner Tochter zum letzten aktiven Vulkan, dem Eyjafjallajökull reisen. Ihre Fähre kam gestern in Seydisfjödur an. Er berichtete, dass sie ihr Frühstück auf der Fähre bis 8:00 Uhr einnehmen sollten und sie mit 2:00 Stunden Verspätung erst einliefen. Die Sturmwarnung war daran schuld, sein Bericht deckte sich mit meinen Erlebnissen vom Vortage in Djupivogur. Zum Schluss der netten Unterhaltung wünschte ich noch einen schönen Wanderurlaub. Obwohl in diesem Gebiet auf der östlichen Seite noch die Asche des Ausbruchs lag, hoffte ich, die Beiden würden gute Wege zu ihrem Ziel finden.
Als ich mich von meinen Bekannten verabschieden wollte, war der Ungar schon auf Tour und Paolo und Freundin schliefen noch. Vielleicht treffen wir uns ja noch einmal, dachte ich. Für ein letztes Foto kletterte ich auf den Hügel hinter dem Campingplatz und bestaunte nochmals die grandiose Aussicht auf die Gletscherlandschaft. Um 8:15 saß ich auf dem Rad und aus gewohnter Richtung kam der Wind. Die Fahrt ging an vielen Gletscherzungen mit solch schönen Namen Hoffelsjökull, Fläajökull, Heinabergsjökull und Skalafellsjökull vorbei. Ab dem Fläajökull bekam ich Rückenwind und kam damit bedeutend schneller voran. Die Landschaft bot ein abwechslungsreiches Bild vom Eis bis zur grünen Wiese mit Wollgras. Mit hohem Tempo ging es ab in Richtung Jökulsárlón.
Nach einer weiteren Kehre wurde der Blick auf den Breidarmerkurjökull und den Gletschersee Jökulsárlón frei. Am Gletschersee herrschte Betriebsamkeit, viele Besucher bestaunten die Landschaft. Dies ist wohl eine der schönsten in Island, hoffentlich noch für viele Jahre. Der Gletscher Breidamerkurjökull kalbt und auf dem See treiben zu jeder Jahreszeit die riesigen Eisberge. Das Eis schimmert von Grün bis ins Türkis und einige Stellen aus schwarzem Aschesand geben den Eisbergen ihre unverwechselbare Note. Wer das Kalben der Gletscher aus der Nähe bewundern möchte, dem stehen Amphibienfahrzeuge zur Verfügung. Diese Aquamobile transportieren die Touristen halbstündlich über den See. Am Ufer gab es eine kleine Cafeteria, dort konnte ich meine Wasservorräte auffüllen und noch einen Espresso mit einem kleinen Stückchen Torte verspeisen. So gestärkt, trat ich vor die Tür und genoss den Blick auf dieses Naturschauspiel.
Bei Premium-Wetter, Rückenwind und ohne Regen, begann der zweite Teil, bis zum Tagesziel waren es noch gut 50 Kilometer. Die Fahrt ging vorbei an Vogelschutzgebieten, unter anderem brütet hier die Große Arktische Raubmöwe „Skua“. Doch Achtung ist geboten: Diese Möwen sind angriffslustig und man sollte sich vor ihnen in Acht nehmen. Der weitere Weg führte auf der linken Seite an der Küste des Ozeans entlang und auf der rechten Seite befanden sich die Gletscherzungen des Vatnajökull.
So gegen 19:30 Uhr erreichte ich den Ort Svinafell, der Campingplatz lag vor einer grünen Wand, in der es auch mehrere Wasserfälle gab. Auf diesem schön gelegenen Platz fand ich zu meiner Entspannung sogar einen kleinen Pool und zwei Hot Pots vor. Da ich ziemlich lange gefahren war, gönnte ich meinen müden Muskeln das warme Wasser, es war eine Wohltat. Danach noch die üblichen abendlichen Aktivitäten und dann ab in den Schlafsack.
10.07.2010 Svinafell-Kirkjubæjarklaustur, 75 km
Am Morgen begann es um 5:30 Uhr zu regnen, ich rettete schnell meine noch nicht getrocknete Wäsche vor einer weiteren Dusche. Dann lief alles wie gewohnt ab, Frühstücken und Zelt zusammenpacken. Der Regen hörte langsam auf und mir gelang es, das gute Stück halbwegs trocken zu verstauen.
Um 8:00 Uhr saß ich im Sattel und kam die ersten 10 Kilometer gut voran, es ging vorbei am Nationalpark Skaftafell (1.600 qkm), für den ich gern noch Zeit gehabt hätte. Die Gletscherzungen des Skeidarárjökull zogen vorbei und ich durchfuhr den Skeidararsandur, die größte Sanderfläche Islands. Diese schwarzsandige Gegend beeindruckt durch ihre Länge von 30 Kilometern und ihrer Ausdehnung von 1.000 km². Ein kleiner Trost war mir, dass bei Regenwetter wenigstens keine Sandstürme zu erwarten waren. Der unter dem Vatnäjökull liegende Vulkan brach in den vergangenen Jahren alle 5 Jahre aus. Eine Hinweistafel und verbogene Stahlträger einer Brücke sind Zeugnisse, die an die Wasser-, Schlamm- und Eismassen im November 1996 erinnerten.
Auf der weiteren Fahrt tauchte am Rand eine Schutzhütte auf, die bei Sandstürmen sicheren Schutz bietet. Hier gab es schönen schwarzen Lavasand, ich hielt und musste dort noch einen Text für ein Erinnerungsfoto in den Sand schreiben. Es ging auf einer langen Geraden in Richtung Felsen Lómagnúpur und der Regen prasselte immer noch auf mich nieder. Diese ständige Nässe war belastend, es gab aber kein Entkommen, da musste ich jetzt durch. Also fuhr ich weiter, doch ungefähr 20 Kilometer vor Kirkjubaejarklaustur ging nichts mehr. Mir war kalt, die Finger spürte ich schon lange nicht mehr, die Fußspitzen ebenso. An einem Aussichtspunkt war ein kleiner Wall aufgeschüttet, ich hockte mich zum Schutz vor dem Wind dahinter. Für einen Moment ließ der Regen nach, das war der richtige Moment, um etwas zu essen und zu trinken. Die Jacke hatte ich schon gewechselt, der durchgeschwitzte Körper würde sonst noch stärker zu frieren beginnen. Meine Hände machten mir Sorgen, die Handschuhe waren bei diesem Wetter chancenlos. Die Not machte erfinderisch, und so nahm ich Folientüten von meinem letzten Obsteinkauf und zog sie über die Hände. Das funktionierte so einigermaßen gegen die Nässe, nur warm konnte ich sie nicht mehr bekommen.
Der Wind kam zur Abwechslung auf den letzten Kilometern von vorn, ich fluchte und wollte nicht mehr. Am liebsten wäre ich, auf meiner weiteren Tour, auf dem kürzesten Weg weiter nach Keflavik gefahren. Aber so einfach war das nicht, im Süden lag noch die Asche des letzten Vulkanausbruchs, das war mir schon in Varmahlid berichtet worden. Dort wollte ich nicht hindurch fahren, so gab es ein Wechselbad der Gefühle. Schließlich kam ich doch in Kirkjubaejarklaustur an, und suchte das dortige Tankstellen-Bistro auf, endlich für einen Moment aus dem Regen.
Nach einer kleinen Mahlzeit (Fisch mit Pommes) wurde ich noch immer nicht warm, die klammen Sachen waren schuld. Also fuhr ich erneut im Regen los, um den Campingplatz zu suchen. Dort eingetroffen, standen auf dem Platz zwar Zelte und Campingwagen, es gab aber keine Duschen und es fehlte auch eine Rezeption, in der ich hätte fragen können. Das konnte doch nicht sein, es musste unbedingt eine warme Dusche her, also fuhr ich im Regen zurück in den Ort. Gleich hinter dem Kreisverkehr fand ich ein Hinweisschild, das auf einen weiteren Campingplatz hinwies. Tatsächlich fand ich alles, wonach ich suchte, und nach einer ausgiebigen Dusche war die Welt wieder im Lot. Das Wetter wurde zusehends besser, und so konnte auch mein aufgebautes Zelt, während meiner Dusche richtig trocknen, bevor ich meinen Schlafsack auspackte.
Der Platz war gut ausgestattet, ich nutzte die Waschmaschine und den Trockner, um meine Sachen, die sich noch im Gepäck befanden, endlich trocken zu bekommen. Danach noch ein kleines Abendbrot und ab in den Schlafsack. Vor dem Einschlafen grübelte ich noch über den weiteren Verlauf meiner Tour. Es gab keine wirklich guten Alternativen für den weiteren Weg, also hielt ich am meinem Plan fest. Damit stand das letzte Hochlandabenteuer „Landmannalaugar“ bevor.
11.07.2010 Kirkjubaejarklaustur-Hólaskjól, 60 km
Der Morgen in Kirkjubaejarklaustur war wie aus dem Bilderbuch. Die Sonne schien und ich konnte den Himmel sehen, der war so schön hellblau. Beim Aufstehen fiel mir die Wäsche ein, die im Trockner nicht „Packtaschen trocken“ wurde. Sie hing auf der Leine und wurde auch dort nicht transportfähig, also kamen nur noch die Heizkörper im Gemeinschaftshaus in Frage. Nun ließ ich mir Zeit, denn die Sonne schien ja so schön, und erst als alles einigermaßen getrocknet war, verließ ich den gut ausgestatteten Platz. Um 8:15 Uhr fuhr ich in Richtung Tankstelle, da fiel mir ein, dass ich noch eine Gaskartusche und Butter benötigte. Der Tankstellenshop hatte nicht alles, wonach ich suchte, leider gab es keine Butter, die hoffte ich in Landmannalaugar zu erhalten.
Den Einkauf verstaut, fuhr ich die R1 in Richtung Mýrdalsjökul. Die Straße und die Landschaft waren hervorragend, grüne dünenartige Landstriche säumten den Weg. Dann ging es fast schnurgerade aus durch das Lavafeld Eldhraun, das beim Ausbruch im Jahr 1783 entstanden ist. Diesen Abschnitt der Ringstraße durchfuhr ich bis zum Abzweig 208, an dem meine letzte Hochlandpiste begann. Auf isländisch heißt die Piste Fjallabaksleid, das bedeutet soviel wie „Der Pfad hinter den Bergen“. Die Piste war bis zum Hof Buland gut zu befahren, das war der letzte Bauernhof im Hochland vor Landmannalaugar. Gleich nach dem Hinweis auf die 4 x 4 Strecke machte die Piste ihrem Namen alle Ehre, es gab Steigungen mit weit über 17 %. Einige Abschnitte konnte ich nur schiebend bewältigen, auf dem losen Untergrund eine schweißtreibende Angelegenheit. Nur die Landschaft mit ihren tollen Farben und dem Gletscher Mýrdalsjökul im Hintergrund sorgte weiterhin für gute Stimmung. Fast hinter jeder Kehre gab es eine unverwechselbar schöne Aussicht. Meine Kamera wurde nicht kalt!
Ich beschloss weiterzufahren, um noch rechtzeitig nach Hólaskjól zu gelangen. Wie angekündigt, begann es gegen 13:30 Uhr zu regnen, genau zu dem Zeitpunkt, als ich den Campingplatz erreichte, Glück gehabt. Erst gegen 19:00 Uhr verschwanden die Regenwolken und die Sonne ließ sich blicken. Da unternahm ich noch eine Wanderung durch die Lavafelder und zum Wasserfall hinter dem Platz. Zum Abschluss des Ausflugs gab es noch einen Regenbogen zur Belohnung, der sich über den unzähligen Wasserläufen der Skafta bildete.
12.07.2010 Hólaskjól-Landmannalaugar, 40 km
Der Morgen begann mit Sonnenschein, na, wenn das mal gut geht. Da es nur rund 40 Kilometer bis Landmannalaugar waren, bummelte ich etwas, außerdem wollte ich das Zelt noch trocknen lassen. Punkt 7:45 Uhr zogen dunkle Wolken auf, Regen- und Hagelschauer wechselten sich ab. Egal, um 9:15 Uhr brach ich auf und fuhr im Nieselregen ab. Nach wenigen Kilometern hörte er auf, begann aber sehr bald wieder. Die Hochlandpiste F 208 wartete auf mich, sie gehört auf dem Stück von Hólaskjól nach Landmannalaugar zu einer der schönsten Hochlandetappen Islands.
Der Track war anstrengend, ich musste mir jeden Meter dieser schönen, urwüchsigen Landschaft mühsam erkämpfen. Es gab Steigungen bis 23 %, die durch das lose Gestein mit Fahrrad und Gepäck nur schiebend zu bewältigen waren. Dabei hatte ich Probleme das Rad gerade zu halten, damit das Vorderrad nicht wegrutschen konnte, gleichzeitig fand ich wenig Halt auf dem losen Geröll. So war es sicherer, einen Moment mit angezogenen Bremsen zu verharren, bis die Kräfte zurückkamen, um weiter zu schieben, oder einen besseren Halt auf dem losen Gestein zu suchen. Immer wenn ich dachte, jetzt habe ich die letzte Steigung erklommen, kam die nächste in Sicht. Durchweicht und etwas geschlaucht von der Schufterei erreichte ich gegen 13:00 Uhr den Kilometer 19 dieses Tracks. Dort beschloss ich, die Regenpause für eine kleine Rast zu nutzen. Denn wer wusste schon, was noch alles auf mich wartete.
Nach wenigen Kilometern konnte ich aus einiger Entfernung die erste Furt ausmachen, die von mir passiert werden musste. Das war eine völlig neue Herausforderung, auf die ich mich im Vorfeld vorbereitet hatte. Vor dem ersten Wasserhindernis hielt ich kurz an, um aus meiner Packtasche die Neoprensocken und die Trekkingsandalen hervorzuzaubern. Diese Sachen sollten meine Füße während der noch zu erwartenden 19 Furten warmhalten. Die Wassertemperaturen der Hochlandbäche lagen zwischen 0 und 4 ° Celsius. Geländefahrzeuge furten oft an Stellen, die für Radfahrer nicht günstig sind. So suchte ich mir neben den Fahrspuren eine seichte Passage, wobei eine ruhigere Wasseroberfläche tieferes Wasser anzeigte. In diesem Falle war stromab meist eine Schwelle mit geringerer Wassertiefe zu finden. An diesem Tag waren alle Bäche ohne größere Probleme von mir zu furten.
Der Weg führte mich über schwarze Lavawege, die mit einer grünen moosbewachsenen Landschaft einen herrlichen Kontrast bildeten. Am Weg stand ein Hinweisschild zur Eldgja-Schlucht, sie zählt mit einer Breite von bis zu 600 m und 40 km Länge zu einer der größten, oberirdischen, nacheiszeitlichen Vulkanspalten der Erde. Ich fuhr weiter aufwärts, um von dort wieder ins nächste Tal zu gelangen, in dem ein weiterer Bach gefurtet werden musste. Bei jeder Querung eines Bachlaufs begannen die Räder feinen Lavaschlamm aufzuwerfen, und dieser blockierte die Bremsen. Das wirkte wie grobes Schleifpapier, jede Bremsung erzeugte bei mir eine Gänsehaut. Leider konnte ich nichts dagegen unternehmen, es lagen noch zu viele Furten vor mir. Ich nahm mir vor, in Landmannalaugar das Rad notdürftig zu reinigen und neue Bremsbeläge anzubringen.
Teilweise glich die Piste einem Flussbett, das umsäumt von schwarzen Lavabergen, die Spannung auf die bunten Berge von Landmannalaugar erhöhte. Die Steigungen nahmen ab und die Landschaft wurde bunter. Nun überquerte ich auf einer Brücke den Fluss Jökugilskvísl, dann ging es vorbei an einigen sehr schönen Seen, die von den bunten Ryolithbergen begrenzt wurden. Kurz hinter dem Abzweig zum Campingplatz musste ich noch ein Lavafeld durchfahren, dann sah ich aus der Ferne schon den Dampf der heißen Quellen von Landmannalaugar aufsteigen.
Nach der nächsten Kurve kam am Ende des Tals der Campingplatz in Sicht. Doch bevor ich ihn erreichen konnte, stand das letzte Hindernis auf meinem Programm, eine tiefe Furt (70 bis 80 cm tief) schnitt mir den Weg ab. Bei Bächen bis zur Oberschenkeltiefe nimmt der Wasserdruck so stark zu, dass einem die Füße vom Grund weggerissen werden können. Aus Berichten hatte ich schon vor der Reise über diese Furt gelesen und wusste von einem Weg neben diesem Gewässer sowie einem Holzsteg, der darüberführen sollte. An einem Trampelpfad konnte ich schnell diesen Weg ausfindig machen und gelangte trockenen Fußes zum Campingplatz. Auf einem Schotterweg ging es an den warmen Quellen vorbei, in denen sich schon zahlreiche Badegäste aufhielten.
Auf dem Platz herrschte reges Treiben, es sah aus, als wollten alle zu einer großen Expedition aufbrechen. Einige Camper bereiteten sich das Abendessen zu, und wer noch Proviant brauchte, konnte das Nötigste in einem umfunktionierten Bus einkaufen. So kam ich auch noch zu meiner Butter. Die großen Mannschaftszelte waren von vielen kleineren umgeben, nur eines hatten alle gemeinsam: Die Abspannleinen waren an großen Felsen befestigt. Ja, einige hatten sogar eine kleine Mauer aus Steinen neben ihren Zelten errichtet, hier stürmte es wohl häufiger. Andere Gäste wiederum liefen in Badekleidung zu den warmen Quellen.
Dieser Ort war etwas Besonderes, so einen gab es selbst auf Island nur einmal. Bei solch einer farbenfrohen Kulisse war ich glücklich, im größten Rhyolithgebiet die in allen Farbnuancen von Rostrot bis Ocker schimmernden Berge bestaunen zu können. Spätestens jetzt wurde klar, meine Entscheidung, diese Hochlandpiste zu befahren war die Richtige. Nach einem Rundgang auf dem Gelände war mein Fahrrad an der Reihe, schließlich wollte ich am nächsten Tag einen langen Kanten nach Hella zurücklegen. Da konnte ich mir keine Panne leisten, also wusch ich den Lavaschlamm von Kettenrad, Kette, Kassette und Schaltwerk ab. Im Anschluss reinigte ich noch die Felgen sowie Bremsen und wechselte die Bremsbeläge am Hinterrad. Als alles gereinigt und montiert war, ölte ich die beweglichen Teile ein, damit mir in diesem feuchten Klima keine Bauteile ausfielen. Nach gründlicher Reinigung meiner Hände begab ich mich ins Zelt und versuchte zu schlafen
13.07.2010 Landmannalaugar-Hella, 105 km
Die Nacht war steinig auf dem Platz und mit meiner nach wie vor defekten Isomatte konnte ich den Untergrund wirklich gut beurteilen. Die Nacht war somit schnell vorbei und um 7:30 Uhr schob ich meine Habe vom Platz. Etwas schade, denn in dieser schönen Landschaft hätte ich gern noch etwas mehr Zeit verbracht. So wie ich lesen konnte, gab es gleich hinter dem Platz markierte Wanderwege, und Reitern stand zur Versorgung ihrer Tiere eine Koppel und auch Heu zur Verfügung.
Für die erste Furt direkt am Campingplatz nutzte ich wiederum den Trampelpfad. Das Gepäck trug ich dieses Mal über einen Hügel und holte das Fahrrad nach, zu schmal erschien mir der Weg für Mensch und Rad. Nach wenigen Minuten saß ich im Sattel und pedalte die Piste zurück zur F 208. Landmannalaugar lag ca. 600 m hoch und bis auf ein paar kürzere Steigungen waren an diesem Tag kaum Höhenmeter zu erwarten. Auf dem Weg nach Hella fuhr ich sozusagen bis auf ungefähr 100 Höhenmeter abwärts. Aber zunächst kam ich zu einer schönen Aussicht über den See Frostastadavatn. Am Ende des Sees, den ich halb umrundete, befand sich ein Abzweig von der F 208 auf die F 225 zur Landmannaleid. Das Landschaftsbild wurde abwechslungsreicher, eine hügelige Wüstenlandschaft mit sandigen Teilabschnitten wechselte sich mit steinigen Lavafeldern ab. Durch den losen Sand wurde es gefährlich, und nachdem ich ein paar Mal weggerutscht war, schob ich das Rad lieber.
Die F 225 wartete noch mit vier leichteren Furten auf, 3 davon konnte ich wie gewohnt passieren. Allerdings lud ich an einem Bach lieber mein Gepäck ab und trug mein Rad ans andere Ufer. Weitere Bremsbeläge wollte ich nicht riskieren. Grüne Hügel durchzogen das Tal, an denen Erosionsmuster zu erkennen waren. Auf einer Anhöhe sah ich einen Bus stehen, er brachte viele Touristen ins Hochland und alle wollen ein Foto von dem bekanntesten Vulkan, der Hekla schießen. Die Menschen im Mittelalter vermuteten hier den Eingang zur Hölle, wie sonst hätte man damals die Ausbrüche erklären können. Die Hekla mit ihrem 1.491 m hohen Gipfel zählt mit ihren weit zurückreichenden Eruptionen zu den aktivsten Spaltenvulkanen. Vom Jahr 1104 bis zum Jahr 2000 reicht die Aufzählung ihrer teils verheerenden Ausbrüche, die das Landschaftsbild ständig veränderten. Als ich die Anhöhe erreichte, gab es anerkennenden Applaus von den Bustouristen, diese Einlage war wie ein Energieriegel für die nächsten Kilometer.
Die Piste durch das letzte Stückchen Hochland zog sich noch bis 13:00 Uhr, bis ich auf die Straße Nr. 26 traf. Dort beschloss ich zu Mittag zu essen, ein Stein bot mir eine Sitzgelegenheit, an der ich meine Neoprensocken und Sandalen gegen feste Schuhe austauschen konnte. Dann gab es die letzte Ration zu essen, der Wind hatte wieder zugenommen und von Südwesten kamen dunkle Wolken herein. Nach kurzer Stärkung radelte ich los und schon nach 3 Kilometern begann der Regen. Ich hielt am Straßenrad, um meine Regenkleidung anzuziehen, doch beim Anlegen der Überschuhe sagte jemand hinter mir „Hallo“. Wie aus dem Nichts stand ein Radler neben mir. Es war Raul, er wollte es noch bis zum Campingplatz vor Landmannalaugar schaffen. Nach einem kurzen Austausch über die jeweils gefahrenen Kilometer sowie besten Wünschen für die Reise fuhr jeder seinem Tagesziel entgegen.
Mein Gegenwind und der Regen hielten mich auf den nächsten Kilometern von einer rasanten Fahrt nach Hella ab. Auf den weiteren Kilometern war eine Tankstelle auf meiner Karte eingezeichnet, mit jedem Kilometer freute ich mich mehr darauf, ins Trockene zu kommen und meine Vorräte aufzufüllen. Leider fand ich die Tanke nicht, vielleicht existierte sie nur auf meiner Karte, so fuhr ich weiter Richtung Süden. Mir war kühl und die Sachen waren nass, jetzt wünschte ich mir nur noch eine geschützte Ecke, in der ich aus meinen Resten, 2 x heiße Tassen und etwas Wurst und Käse, eine warme Mahlzeit zubereiten konnte. Aber so ist es in Island, es gibt kaum windgeschützte Ecken oder Hütten. Doch als ich schon nicht mehr damit gerechnet hatte, kam ein Gebäude in Sicht. Es schien eine unbewohnte Ferienanlage zu sein. Vorsichtig betrat ich das Grundstück und hinter dem Eingang befand sich eine Nische, die Schutz vor Wind und Regen gewährte. Von der Straße konnte ich nicht gesehen werden, so war es der ideale Platz für meine warme Mahlzeit. Der Kocher zischte und bald darauf wurde auch mir warm. Jetzt konnte ich die letzten 30 Kilometer bis Hella in Angriff nehmen.
Mit kleinen Motivationspausen gespickt, erreichte ich gegen 17:30 Uhr die Ringstraße Nr.1. Aus Berichten wusste ich von einem Lebensmittelgeschäft, das ich dann auch gleich aufsuchte. Als ich vor dem Markt meine Packtaschen mit dem Einkauf füllte, sprach mich jemand an. Ich konnte es kaum glauben, es war die Radfahrerin, die ich schon am Mývatn getroffen hatte. Sie berichtete von ihrer Tour und einem Felgenbruch, den sie vor Akureyri gehabt hatte. Als ich erzählte, dass ich in Höfn schon von ihrem Pech gehört hatte, staunte sie nicht schlecht. Wir tranken noch eine Cola zusammen und beschlossen, anschließend gemeinsam nach Hella zu fahren.
Die Kilometer waren schnell zurückgelegt, es regnete jetzt heftig. Der Platz war nicht dort, wo ich ihn vermutete, sondern hinter der Brücke über den Fluss Rangá. Auf dem schönen Platz angelangt, hörte es auf zu schütten und die Sonne kam hervor. So konnten wir noch gemeinsam unter freiem Himmel kochen und noch viele Episoden austauschen. Zwischenzeitlich kam noch eine Gruppe Spanier mit ihren Rädern an, sie wollten ausschließlich auf der Ringstraße die Insel umrunden. Gegen 23:30 Uhr verabschiedeten wir uns und gingen schlafen.
14.07.2010 Hella-Strandarkirkja, 85 km
Am Morgen setzte sich das super Wetter fort, es war sonnig und wir trockneten noch unsere Ausrüstung. Solche Gelegenheit durfte man nicht verstreichen lassen. Nachdem alles verpackt war, brach ich gegen 9:15 Uhr auf, aber zuvor wünschte ich Biggi noch eine schöne Weiterfahrt. Sie wollte nach Seydisfjördur zur Fähre, vorher jedoch noch eine Hochlandroute fahren. Damit sie trockenen Fußes ankommen konnte, lieh ich ihr noch meine Neoprensocken, die ich nun vorerst nicht mehr brauchte. Es war immer schön, Berichte von anderen Radreisenden hören zu können, aber nun wurde es Zeit für mich.
Meine Reise führte entgegengesetzt durch den Süden weiter in Richtung Selfoss. Die Fahrt ging zunächst durch den Ort Hella, mit rund 750 Einwohnern eine junge Stadt, in der erst 1927 das erste Gebäude errichtet worden war. Auf der Ringstraße fuhr ich durch ein Gebiet mit vielen grünen Weiden und landwirtschaftlich genutzten Flächen. Der erste Abschnitt lief wie aus dem Bilderbuch, glatte Strecke und keinen Gegenwind, ich fuhr einen guten Schnitt. So ungefähr 10 Kilometer vor Selfoss sah ich im Rückspiegel einen Radfahrer. Es hatte den Anschein, als wollte er mich einholen, so verlangsamte ich meine Fahrt und wartete auf ihn. Der gute Herr war schon 62 Jahre, erfuhr ich in dem anschließenden Gespräch. Wir konnten unsere Unterhaltung auf deutsch führen, so bat mir der Niederländer aus der Nähe von Maastricht an. Wir fuhren gemeinsam weiter und es fand eine angeregte Unterhaltung statt. Er fragte nach meinem Wohnort und so kam ein Gespräch über die Wendezeit sowie seine Städtereisen in den neuen Bundesländer zustande. Neben vielen privaten Themen kamen wir dann auf das Reisen per Fahrrad, Island war seine bisher größte Tour. Er wollte in Selfoss in einem Gästehaus übernachten. Da ich noch weiter wollte, beschlossen wir, unsere E-Mail-Adressen auszutauschen, vielleicht gibt es ja irgendwann ein Wiedersehen. Bemerkenswert fand ich während unserer gemeinsamen Fahrt, die er neben mir fuhr, dass kein einziger Autofahrer hupte. Die Fahrzeugführer waren sehr rücksichtsvoll und überholten uns in einem großzügigen Abstand. In Deutschland unvorstellbar!
Die Stadt Selfoss, gehört mit ihren 6.200 Einwohnern zu den größeren Orten Islands. Die moderne Stadt wird auch als Zentrum des Südens bezeichnet. Hier gab es für meine Mittagspause eine reichhaltige Auswahl, die ich dann auch genoss. Beim Verlassen des lebendigen Ortes traf ich auf einen großen Kreisverkehr und überquerte die Brücke des Hvitá. Zurück auf der R1 ging es jetzt in Richtung Hveragerdi, bekannt auch als „Stadt der Gewächshäuser“. Beheizt mit geothermaler Energie, gedeihen unter 14 ha Glas verschiedene Obst- und Gemüsesorten wie Gurken, Tomaten, Orangen und sogar Bananen. In den Treibhäusern, die durch unterirdische Heizröhren mit Wärme versorgt werden, wachsen auch zahlreiche Blumen. Nach diesem Ort konnte ich die Ringstraße verlassen und auf der Straße 38 nach Strandarkirkja fahren. Auf der Suche nach einer Abfahrt auf die 427 wurde ich nicht fündig, so blieb mir nichts anderes übrig, als nach Porlákshöfn zu kurbeln. Angekommen in dem Fährort, von dem man auf die Westmännerinseln gelangt, gab es ein Hinweisschild nach Grindavik. Nun konnte ich auf dieser Straße 39 auch nach Strandarkirkja gelangen. Jetzt waren noch zähe 20 Kilometer gegen meinen Freund Rasmus anzubolzen, wenigstens war der Fahrbahnbelag neu.
Um 17:00 Uhr erreichte ich den Ort Strandarkirkja, es war schön hier, direkt am Meer gelegen. Das sagten sich wohl auch die hier brütenden Küstenseeschwalben, mit denen ich noch Bekanntschaft machen sollte. In aller Ruhe ging ich meinem Abendprogramm nach, noch während am Himmel dunkle Wolken aufzogen. Die Sonnenstrahlen kämpften mit den Wolken um den besseren Platz an der Kirche. Diese Lichtstimmung wollte ich mit meiner Kamera einfangen und beschloss, mit dem Rad zur Kirche aufzubrechen. Auf dem Weg wurde ich von den Küstenseeschwalben angegriffen, es war fast wie bei Alfred Hitchcock, in dem Film „Die Vögel“. Einmal berührte ein Tier dabei sogar meinen Helm. Die (Skua) Küstenseeschwalbe brütet am Boden der flachen Uferzonen, sie ist aggressiv gegenüber allen Eindringlingen. Zuerst fliegen sie kreischend auf ihr Opfer zu, um dann aber kurz vorher abzudrehen, oder in der Luft stehend mit ihren Flügeln zu schlagen. Wanderern können die Tiere durchaus Probleme bereiten, und auch mir jagten die bussardgroßen Raubmöwen einen tüchtigen Schrecken ein. Sie konnten mir aber zum Glück nicht gefährlich werden, denn ich hatte ja meinen Fahrradhelm auf.
An der einsam gelegenen Kirche machte ich einen Rundgang und Fotos von diesem schönen Ort. Einer Legende nach soll die ursprüngliche Kirche von in Seenot geratenen Seefahrern errichtet worden sein. Mit einem Blick zum Meer verabschiedete ich mich von dem Gotteshaus. Am Campingplatz angekommen, zogen von Osten dunkle Wolken heran, deshalb nahm ich noch schnell meine Wäsche von der Leine, die der kräftige Wind rasch getrocknet hatte. Dann wurde es Zeit für die meine Nachtruhe.
15.07.2010 Strandarkirkja-Grindavik, 53 km
Der Morgen begann mit üppigem Sonnenschein und so ließ ich mir Zeit. Es sollten alle Ausrüstungsteile trocken sein, bevor es losging, und gegen 9:15 Uhr verließ ich dann den Ort. Bei der geplanten Streckenlänge konnte ich gegen 12:30 in Grindavik sein, nahm ich an, doch hatte ich meine Rechnung ohne die Waschbrettpiste gemacht. Es wurde zu einer anstrengenden Prozedur, das hatte ich mir anders vorgestellt. Die Piste führte vorbei am schönen See Hlíðarvatn, um mich dann zwischen Seeufer und steilen Berghängen weiter in Richtung Grindavik zu führen. Auf einem schwarzen Schotterweg ohne Ende, so schien es, fuhr ich weiter. Auf meiner Karte war ein Teilstück als befestigte Straße eingezeichnet, die Vorfreude darauf beflügelte mich, da kam sie schon in Sichtweite. Oh nein, es ging bis zum Ende dieses Abschnitts mit 3 – 4 % bergan.
Am Hinweisschild zur Straße 427 hoffte ich auf bessere Straßenverhältnisse, das Geothermalgebiet von Krýsuvik wollte ich nicht mehr besuchen. Auf der 427 angelangt, blieb es bei der Rüttelpiste. Kurz darauf kamen mir vier Motorradfahrer entgegen, wir grüßten uns freundlich und es waren noch immer 20 Kilometer. Auf einer Wegkuppe sah ich einen roten Punkt. Erst als ich näher kam, staunte ich nicht schlecht, es war ein Wanderer mit seinem roten Rucksack. Die endlos scheinende Rüttelpiste endete und es ging mit 5% Steigung auf einer asphalierten Straße bergan. Nach den 3 Kilometern kam die Belohnung in Form ein langen, rasanten Abfahrt. Zuvor jedoch, als ich den höchsten Punkt erreichte, kam mir einer, dann ein zweiter Radfahrer entgegen. Es waren Dänen, Vater und Sohn, die in 2 1/2 Wochen die Insel abradelten und noch Verwandte besuchen wollten. Sie kamen aus Keflavik und hatten ihren Radkarton ebenfalls bei „Alex Camping“ deponiert. Wir wünschten uns eine tolle Reise und fuhren weiter.
Rasant ging es nun bergab, endlich kam Grindavik in Sicht. Die Aussicht auf die Küste von Reykjanes und den Nordatlantik war umwerfend. In Grindavik eingetroffen, suchte ich in dem großen Fischerdorf (2.700 Einwohner) zuerst den Campingplatz, er sollte laut Beschreibungen aus Reiseberichten nicht so toll sein. In der Vergangenheit war dort wohl einiges geschehen, ich stand vor einem neuen Platz und die sauberen Sanitäranlagen strahlten. Die Sonne schien wie schon lange nicht mehr und zum ersten Mal kletterte mein Thermometer auf 20°C. Nach einer Ortsbesichtigung ließ ich es mir gut gehen und verschwand recht früh in meinem Zelt.
16.07.2010 Grindavik-Keflavik, 40 km
Der letzte Track nach Keflavik stand an, die Sonne schien bei kräftigen westlichen Winden. Es war eine Wohltat, in kurzen Radsachen zu starten. Und angesichts der wenigen Kilometer bis Keflavik hatte ich auch keine Eile. So gegen 9:00 Uhr verließ ich den Campingplatz, am Himmel sah es nicht nach Regenwetter aus, also beschloss ich, noch zur blauen Lagune zu fahren. Die wenigen Kilometer Umweg nahm ich gern in Kauf, auch wenn der Wind mir ins Gesicht blies.
Am Geothermalkraftwerk angekommen, fuhr ich zum Eingangsbereich der „Bláa Lónid“. Das Kraftwerk nutzt die Thermalquellen zur Energiegewinnung und versorgt dann die künstliche Lagune mit dem heißen, mit Mineralien, Kieselerde und Silikaten angereicherten Wasser. Das Wasser hat eine Temperatur von 37-40° Celsius und kommt aus 2.000 Metern Tiefe. Nach meinen eher spartanischen und auf Funktionalität eingerichteten Duschen wurde ich hier in einem Wellness-Tempel empfangen, den ich so nicht erwartet hatte. Eine Rezeption, bei der man gegen Buchung eines Aufenthaltes weiße Bademäntel, die Sauna und den Eintritt für den VIP-Bereich buchen konnte. Als ich die Bar im Thermalbecken mit ihren Cocktail trinkenden Gästen sah, wurde mir klar, dass ich nicht mehr in Landmannalaugar war. Es gab noch weitere Attraktionen wie einen künstlichen Wasserfall, eine Lava-Höhle, Dampfbad und vieles mehr. Nachdem ich mich in dem wohlig warmen Wasser aufgewärmt hatte, beschloss ich weiterzufahren, denn irgendwie fühlte ich mich fremd in dieser Welt. Als ich das Gebäude verließ, hatte ich gerade nochmal Glück gehabt. Es hielten 4 Reisebusse und sie spuckten mehrere Reisegruppen unterschiedlichster Nationen aus, die Reiseleiter hielten ein Schild zur Orientierung hoch. Nun war ich froh, diesen Massen zuvorgekommen zu sein, und schwang mich zufrieden in meinen Sattel, um die letzten Kilometer unter die Räder zu nehmen.
Auf der S 42 ging es weiter bis zur Auffahrt auf die S 41 – auf dieser Straße hatte ich vor drei Wochen die Umrundung der Insel begonnen. Der Gedanke daran, es wirklich geschafft zu haben, war sehr intensiv, was für Erlebnisse und Wetterkapriolen lagen hinter mir! Es war nicht möglich, die vielen Eindrücke zu sortieren, aber dafür schrieb ich ja immer alles in ein kleines Büchlein, um später zu Hause meine Tour aufzuarbeiten. Kurz vor der Auffahrt drehte ich noch ein kleines Video, um den Daheimgebliebenen meinen unsichtbaren Gegner (den Wind), der mich sogar auf den letzten Kilometern noch begleitete, zu zeigen.
Video vor Keflavik „Der Wind mein unsichtbarer Gegner“
Auf der S 41 angekommen, kurbelte ich schnell die letzten Kilometer nach Keflavik. Während der Fahrt kam mir der zerfetzte Fahrradkarton von der Hinreise in meine Erinnerung. So beschloss ich, noch Packmaterial, Wellpappe und Paketklebeband zu besorgen. Auf vielen Umwegstrecken fuhr ich zum Campingplatz „Alex Camping“, denn die Hauptstraße war mir zu belebt. Am Platz eingetroffen, meldete ich mich an und baute anschließend mein Zelt zum letzten Mal auf isländischem Boden auf. Der Platz war um diese Zeit noch nicht sehr belebt, so konnte ich in Ruhe meine Sachen für den Flug am nächsten Tag vorbereiten.
Nach einer kleinen Mittagspause, es gab die letzte Suppe, war mein Rad an der Reihe. In dem kleinen Abstellraum fand ich meinen Radkarton in der vordersten Reihe wieder, und es waren noch reichlich neue hinzugekommen. Die zwei Fahrradkoffer aus Kopenhagen gehörten wohl den Radfahrern vor Grindavik, die ich getroffen hatte. Jetzt kamen meine Wellpappe und das Klebeband zum Einsatz, die Grifflöcher des Kartons waren damit schnell geflickt. An meinem Rad waren keine nennenswerten Schäden zu erkennen und jetzt demontierte ich es, bevor ich es im Karton verstaute. Ein Radfahrer aus Leeds kam dazu und half mir beim Verpacken und Anlegen der Spanngurte. Er wollte noch in dieser Nacht mit dem Flugzeug zurück in seine Heimat fliegen. Wir waren zur Zeit die einzigen Radfahrer auf dem Platz, eine Wandergruppe hatte ihr Zelt hinter meinem abgebaut und reiste wohl weiter. Nach einem entspannten Abend ging ich schlafen.
Am Morgen schien die Sonne und das Zelt fand trocken seinen Platz im Packsack. Als alles inden vorgesehenen Taschen verstaut war, begab ich mich vor die Rezeption, denn von dort sollte der Shuttle-Bus zum Flughafen fahren. Das Fahrzeug mit Hänger stand schon bereit und ich bat noch einen Passanten, ein Foto von mir und meinem Gepäck zu machen. Die Abfahrtzeit rückte näher und aus dem Gästehaus kamen noch weitere Reisende, die wohl auch zum Airport wollten. Eine junge Frau reiste ebenfalls allein, wir kamen später noch ins Gespräch. Auf dem Gate sahen wir uns wieder und sie berichtete von ihrem Reiturlaub auf Island. Jetzt trat sie ihren Heimflug nach Hamburg an. Leider konnten wir keine weiteren Erlebnisse austauschen – als wir im Flugzeug waren, trennten sich unsere Wege.
Die Rückreise verlief ohne Komplikationen und in Hamburg holte mich ein weiterer netter Kollege ab. Damit endete mein Rendezvous mit Island, aber eventuell komme ich ja wieder.